Expertenblindheit in der Musikpädagogik

Expertenblindheit in der Musikpädagogik

Expertenblindheit bezeichnet die Unfähigkeit erfahrener Musiker oder Lehrer, die Perspektive von Anfängern wirklich nachzuvollziehen. Sie entsteht, wenn ein tief vernetztes Wissens- und Fähigkeitsgefüge so selbstverständlich geworden ist, dass man vergisst, wie es war, dieses Wissen einmal nicht zu haben.


II. Erweiterte Erklärung

Musik ist einer der Bereiche, in denen Expertenblindheit besonders stark ausgeprägt ist. Musikalisches Können ist kein isoliertes Wissen, sondern ein komplexes, verkörpertes Netzwerk: Es reicht vom feinmotorischen Anschlag einer Taste über das visuelle Erkennen von Mustern auf der Klaviatur bis hin zum abstrakten Verständnis harmonischer Funktionen.

Wenn Lehrende zu einem Anfänger sagen: „Das ist doch der Grundton“ oder „Das siehst du doch – das ist eine Quinte“, offenbart sich diese Blindheit. Auf dem Klavier sieht man keine Quinte – man muss wissen, was sie ist, wie sie klingt, wie sie sich anfühlt und wie man sie findet. All das sind Lernprozesse, keine Selbstverständlichkeiten.

Für Anfänger ist selbst der scheinbar triviale Schritt – wo ist welcher Ton? – bereits eine kognitive Herausforderung, da Auge, Ohr, Hand und Denken synchronisiert werden müssen. Viele Lehrende unterschätzen diesen Prozess, weil sie ihn selbst längst automatisiert haben.

Das Resultat ist Unterricht, der unbewusst zu viel voraussetzt, zu schnell abstrahiert und zu wenig konkretisiert, wodurch Musiklernen unnötig erschwert wird.


III. Didaktische Konsequenz

Wer Musik wirklich lehren will, muss sich dieser Blindheit stellen und wieder lernen, zu sehen, was für Anfänger unsichtbar ist. Man muss begreifen, dass jedes musikalische Verständnis – vom ersten Ton bis zur komplexen Interpretation – auf einem Fundament einfachster, aber bewusst aufgebauter Strukturen ruht.

In unserem Ansatz vermeiden wir die Expertenblindheit durch die Verwendung klarer, didaktischer Konzepte (wie den "Einser-Schritt" anstelle des missverständlichen "Halbtonschritts") und durch die Anwendung von Prinzipien wie der Cognitive Load Theory, um die Perspektive des Anfängers zu wahren und Überforderung zu vermeiden.