Wir wissen nicht was Musikschüler können

Wir wissen nicht, was Musikschüler wirklich können

Als wir unser Musikprogramm entwickelt haben, wollten wir eine einfache Frage beantworten: Was kann ein durchschnittlicher Schüler nach einem Jahr Musikunterricht – oder nach zwei, nach drei?

Wir suchten nach Daten, nach klaren Vergleichswerten. Aber es gibt sie nicht.

Weder das englische Gradesystem, das zumindest Zwischenprüfungen vorsieht, noch die deutschen Lehrpläne des Verbands Deutscher Musikschulen (VdM) liefern verlässliche, überprüfbare Angaben darüber, welche Kompetenzen Schüler tatsächlich erreichen – und in welchem Zeitraum.

Das heißt: Niemand weiß genau, was Musikschüler wirklich können. Und damit fehlt die Grundlage, an der sich Unterricht, Fortschritt und pädagogische Wirksamkeit überhaupt messen lassen.

Lehrpläne und Realität passen nicht zusammen

In Deutschland gibt es offizielle Lehrpläne (z. B. VdM). Darin stehen Inhalte wie:

  • Noten- und Pausenwerte, Notenschlüssel
  • basale Rhythmen
  • Quinttonraum, Hexachord
  • Melodiediktate
  • Dur- und Moll-Dreiklänge, Intervalle

Auf dem Papier klingt das eindeutig. In der Praxis nicht.

Kinder können oft einige Tonleitern (C-Dur, G-Dur), aber nicht alle. Sie spielen einige Akkorde—ohne wirklich zu verstehen, was sie tun. Begriffe wie Intervalle, Quintenzirkel etc. haben sie „mal gehört“, aber nicht verankert.

Ein deutliches Zeichen: Viele, die später Musik studieren, erleben ihre theoretischen Durchbrüche erst in der Oberstufe (oft im Musik-LK). Inhalte, die laut Lehrplan längst bekannt sein sollten, werden dort erst verstanden—oder überhaupt erst wiederholt, sodass sie sich endlich „zusammensetzen“.

Noch klarer: Bewerber für Musikhochschulen müssen sich zusätzlich auf Aufnahmeprüfungen vorbereiten—mit Stoff, der eigentlich in Unter-/Mittelstufe abgedeckt sein sollte.

Grades in England helfen auch nicht weiter

Die britischen Grade-Systeme wirken, als gäbe es einen planbaren Pfad. In der Praxis wird vieles nicht überprüft:

  • Hörbildung/Melodiediktat fällt oft weg.
  • Selbst Notenlesen ist umgehbar: In Gitarrenheften stehen Noten und Tabs. Niemand prüft, ob tatsächlich Noten gelesen wurden—Tabs reichen für die Prüfungspraxis häufig aus.

Das Ergebnis: Die Zertifikate sagen wenig darüber, was wirklich beherrscht wird.

Theorie beginnt „irgendwann"—oder gar nicht

Es ist unklar, wann Theorie im Instrumentalunterricht beginnt und wie sie vermittelt wird.

Viele Lehrkräfte bauen keine zusätzlichen Theorie-Einheiten ein. Theorie läuft—wenn überhaupt—als Zusatzangebot nebenher. Und das interessiert Kinder in der Regel noch weniger als Üben.

Hohe Abbruchquoten verzerren jedes Bild

Ein großer Anteil (häufig genannt: rund 40 % in den ersten zwei Jahren) hört früh wieder auf. Das heißt:

  • Ein erheblicher Teil durchläuft den Lehrplan nie vollständig.
  • Selbst bei denen, die länger bleiben, bleibt die Frage offen: Was davon bleibt wirklich hängen?

Behalten vs. verstanden

Wesentlich ist die Unterscheidung:

  • Motorische Reproduktion: Stücke klappen nach genug Wiederholung.
  • Musikalisches Verständnis: Tonarten, Akkordfolgen, Struktur werden erkannt und bewusst genutzt.

Die Realität: Viele können spielen, ohne zu verstehen, was sie spielen. Das Wissen ist bruchstückhaft, kontextlos oder schnell vergessen.

Fazit

Wir wissen nicht, was Schüler nach 1–3 Jahren können.

Lehrpläne und Prüfungen erzeugen eine Schein-Messbarkeit, die mit echter Beherrschung wenig zu tun hat. Das ist ein massives Problem, weil wir uns damit an nichts Belastbarem orientieren.

Konsequenz für unser Programm: Wir setzen an der Lücke zwischen Spielen und Verstehen an und messen das, was zählt: nachhaltig abrufbares Können, echtes Theorie-Verständnis im Kontext des Instruments und überprüfbare Anwendung—nicht nur Häkchen im Lehrplan.

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